Interview mit Diplom-Psychologe Oliver Bohlen von den Segeberger Kliniken Angstfrei leben

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von Gerald Henseler

Interview mit Diplom-Psychologe Oliver Bohlen von den Segeberger Kliniken Angstfrei leben

Diplom-Psychologe Oliver Bohlen, 1. Leitender Psychologe der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Segeberger Kliniken, im Gespräch mit Patienten.Foto: SK

Bad Segeberg (em). Angststörungen haben in den letzten Jahren zugenommen – die Ursachen sind vielfältig und reichen von sozialen und wirtschaftlichen Unsicherheiten bis hin zur Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft. Oft ist es nicht leicht, Ängste zu überwinden, doch professionelle Unterstützung kann helfen, den Weg in ein angstfreieres Leben zu finden.

Diplom-Psychologe Oliver Bohlen, 1. Leitender Psychologe der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Segeberger Kliniken, arbeitet seit vielen Jahren mit Menschen, die unter Angststörungen leiden. Im Interview spricht er über Ursachen, Therapiemöglichkeiten und Strategien für ein angstfreieres Leben.

 

Herr Bohlen, Angst ist ein allgegenwärtiges Thema. Warum glauben Sie, nehmen Angststörungen in unserer Gesellschaft zu?

Oliver Bohlen: Die zunehmenden Belastungen im Alltag, der ständige Druck und die hohen Erwartungen – all das trägt dazu bei, dass viele Menschen anfälliger für Ängste werden. Die Schnelllebigkeit unserer Zeit führt häufig dazu, dass sich Menschen überfordert fühlen, und genau in diesen Situationen entstehen oft Ängste. Der Wunsch, alles perfekt zu machen und nichts zu verpassen, kann ebenfalls zur Entwicklung von Ängsten beitragen. Repräsentative Erhebungen zeigen, dass die Häufigkeit seelischer Erkrankungen insbesondere in den letzten 5 Jahren stetig angestiegen ist. Eine erste Beschleunigung dieser Entwicklung haben wir während und direkt nach der Corona-Krise gesehen. Die Verschlechterung der psychischen Gesundheit in der Bevölkerung hat aber in den letzten zwei Jahren weiter angehalten. Wirtschaftliche Herausforderungen und ein für viele spürbares Bedrohungsgefühl durch politische Veränderungen und die Zunahme von Nachrichten über Naturkatastrophen erzeugen eine innere Alarmbereitschaft die die Schwelle für die Entstehung von Angstzuständen senkt.

 

Wie erkennen Betroffene, ob ihre Angst normal ist oder bereits eine Störung darstellt, die behandlungsbedürftig ist.

Eine gesunde Angst schützt uns in gefährlichen Situationen. Problematisch wird es, wenn die Angst den Alltag beeinträchtigt und Betroffene in ihrer Lebensqualität einschränkt. Wenn die Angst ständig präsent ist und zu Vermeidungsverhalten führt, dann sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

 

Was sind die häufigsten Formen von Angststörungen, die Sie in Ihrer Klinik behandeln?

Am häufigsten sehen wir hier generalisierte Angststörungen, Agoraphobien (Platzangst) und Panikstörungen sowie soziale Ängste. Diese Ängste können sich unterschiedlich äußern, sei es durch ständige Sorgen und Grübeleien, ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, Angst vor der Bewertung durch andere Menschen oder durch körperliche Symptome wie Herzrasen, Schwitzen oder Schwindelgefühle.

 

Welche Rolle spielt das soziale Umfeld in der Entwicklung und Bewältigung von Angst?

Ein unterstützendes Umfeld ist entscheidend. Oft entwickeln sich Ängste, wenn Menschen wenig Unterstützung spüren oder überfordert sind. Ein stabiles soziales Netzwerk kann helfen, Ängste zu bewältigen und Betroffenen Sicherheit geben. Gibt es Probleme oder Konflikte im sozialen Umfeld, sind diese Faktoren sehr häufig Ursachen für das Ausbrechen einer Angsterkrankung. Angst und Stress sind im Grunde zwei Seiten einer Medaille. Gleichzeitig stellt ein stabiles, unterstützendes soziales Netzwerk einen Schutzfaktor für alle seelischen Erkrankungen dar. Im Falle von Angststörungen sollte aber berücksichtigt werden, dass eine übermäßig beschützende Haltung das Vermeidungsverhalten der Betroffenen noch verstärken kann.

 

Wie kann man lernen, mit belastenden Gedanken umzugehen, die häufig bei Angststörungen auftreten?

Ein bewährtes Verfahren ist die kognitive Verhaltenstherapie, bei der Patienten lernen, die entstandene Überbetonung von Gefahren zu hinterfragen und wieder mehr gedankliche Flexibilität zu entwickeln. Die Veränderung der Informationsverarbeitung ist ein Symptom der Erkrankung und engt das Leben zunehmend ein. Durch gezielte Beobachtung des eigenen Denkens und verschiedene Techniken können Betroffene lernen, die Gedanken zunehmend wieder besser steuern zu können.

 

Gibt es Unterschiede in Bezug auf die Themen, die bei verschiedenen Altersgruppen Ängste und Sorgen auslösen?

Ja, junge Menschen haben häufiger die Befürchtung, den Anforderungen ihrer Lebensphase wie Studium, Berufsausbildung oder Familiengründung nicht gewachsen zu sein und sie sind natürlich auch besonders von den längerfristigen möglichen Folgen der gegenwärtigen Krisen betroffen. Bei älteren Menschen spielt oft die Angst vor dem Verlust von Leistungsfähigkeit, Einsamkeit oder Eintritt in die letzte Lebensphase eine Rolle spielt. Die individuelle Bearbeitung der Hintergründe von Angstsymptomen orientiert sich in der Therapie daher an dem jeweiligen Lebenskontext.

 

Welche Therapieverfahren kommen bei Ihnen zum Einsatz, um Patienten mit Angststörungen zu unterstützen?

Neben der kognitiven Verhaltenstherapie setzen wir Methoden wie Achtsamkeitstraining, Entspannungsverfahren und bei Bedarf auch medikamentöse Unterstützung ein. Jeder Patient hat individuelle Bedürfnisse, daher kombinieren wir oft verschiedene Therapieansätze. Psychotherapeutische Richtlinienverfahren wie kognitive Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie kommen je nach Zielsetzung und Passung zur Anwendung. Unterschieden werden müssen Methoden zur direkten Beeinflussung der Symptomatik, wie zum Beuspiel Angstkonfrontationstraining und allgemeine Maßnahmen zur Steigerung des Wohlbefindens, wie Entspannungsverfahren oder Achtsamkeitstraining.

 

Wie können Betroffene zwischen gesunder Angst und krankhafter Angst unterscheiden?

Gesunde Angst gebunden an tatsächliche Gefahrensituationen und schützt uns. Wenn die Angst jedoch unverhältnismäßig stark oder häufig ist und mit einer übermäßigen Fokussierung auf bedrohliche oder negative Ereignisse einhergeht, ist sie in der Regel krankhaft und behandlungsbedürftig.

 

Welche Bedeutung hat die Selbstreflexion bei der Angstbewältigung, und wie kann diese gefördert werden?

Selbstreflexion ist zentral. Indem Betroffene ihre Gedanken und Gefühle beobachten und analysieren, können sie Ängste besser verstehen und beherrschen. Wir fördern dies durch gezielte Techniken der Selbstbeobachtung, die das Bewusstsein für eigene Denk- und Verhaltensmuster stärken.

 

Wie sieht der typische Verlauf einer Therapie bei Ihnen aus?

Am Anfang steht eine umfassende Diagnostik. Danach erstellen wir einen Therapieplan, der meist aus regelmäßigen Einzelgesprächen, Gruppentherapien und gezielten Übungen besteht. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen arbeiten wir daran, die Ängste zu verstehen und schrittweise abzubauen.

 

Angststörungen sind oft mit Scham behaftet. Wie können Betroffene lernen, offener über ihre Ängste zu sprechen?

Offenheit und Akzeptanz sind wichtige Schritte. Wir ermutigen Betroffene, in einem sicheren Rahmen, wie der Therapie, über ihre Ängste zu sprechen. Das ermöglicht die Auseinandersetzung mit dem Angstproblem und zeigt den Betroffenen, dass sie nicht allein sind.

 

Welche Rolle spielt die Entspannungstherapie in der Behandlung von Angst?

Wie bereits erwähnt, hängen Angst und Stress sehr eng zusammen. Entspannungsverfahren wie progressive Muskelentspannung oder Atemtechniken helfen, den Körper zu beruhigen und das Anspannungsniveau selbstständig zu regulieren. Sie eignen sich auch, Pausen einzulegen und einen ruhigen Moment im stressigen Alltag zu finden.

 

Was raten Sie Angehörigen und Freunden von Betroffenen – wie können sie helfen, ohne Druck auszuüben?

Verständnis und Geduld sind wichtig, sollten aber nicht in einer übermäßigen Schonung oder weiteren Verängstigung des Betroffenen münden. Angehörige sollten keine Lösungen erzwingen und die eigenen Verwandten, Freunde und Bekannten kann man auch nicht therapieren (lacht). Es hilft aber durchaus, einfach zuhören und da sein. Auch Unterstützung bei kleinen Schritten, die Angst zu überwinden kann wertvoll sein.

 

Abschließend gefragt: Was bedeutet für Sie persönlich das Wort „angstfrei“, und was würden Sie Menschen raten, die diesen Zustand erreichen möchten?

Angstfreiheit bedeutet für mich nicht, völlig ohne Angst zu leben oder gar unvorsichtig zu werden. Es geht darum, normale Risiken, die wir nicht vermeiden können, als Teil des Lebens zu akzeptieren und sich durch sie nicht davon abhalten zu lassen, die Dinge zu tun, die uns wichtig sind. Wir sprechen davon, dass bei Angstpatienten der Scheinwerfer auf potenzielle Gefahren gerichtet und dort „eingerostet“ ist, sodass das Leben von vermeintlichen Bedrohungen beherrscht wird. Menschen, die angstfreier leben möchten, rate ich, bereits morgen damit anzufangen, sich schrittweise den Situationen zu stellen, die Angst auslösen. Für den gesamten Weg muss man aber geduldig mit sich selbst sein und auch kleine Fortschritte anerkennen.

Erfahrenes Team

Die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Segeberger Kliniken bietet ein umfassendes Therapieangebot für Menschen mit psychischen und psychosomatischen Störungen.

Ein erfahrenes Team aus Psychologen und Therapeuten unterstützt Betroffene dabei, ihre Ängste zu bewältigen und neue Perspektiven für ein angstfreieres Leben zu entwickeln. Die individuelle und einfühlsame Betreuung ermöglicht es, auf die persönlichen Bedürfnisse der Patienten einzugehen und ihnen einen geschützten Raum zur Entwicklung eines tieferen Verständnisses ihrer Situation und Besserung ihrer Beschwerden zu bieten.


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